Online-Gespräch mit der Zeitzeugin Charlotte Knobloch: „Jeder, der die Nazi-Zeit überlebt hat, hat eine Geschichte zu erzählen, die unfassbar ist.“

Anlässlich des Internationalen Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus veranstaltete die Friedrich-Ebert-Stiftung Bayern ein Online-Gespräch mit der Zeitzeugin Dr. h. c. mult. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Etwa 4.000 Schülerinnen und Schüler nahmen am 30. Januar teil an dem von der FES moderierten Gespräch. Dazu gehörten auch wir, die Klasse 11a.

Am 27. Januar 1945also vor 80 Jahren – wurden die verhafteten Juden aus Auschwitz und anderen Konzentrationslagern befreit. Auch heutzutage sind das Gedenken und Erinnern an die Geschehnisse der damaligen Zeit sehr wichtig. Aus diesem Grund wurde zu diesem Online-Gespräch mit Charlotte Knobloch eingeladen, denn das Wissen um die Geschichte stabilisiert unser demokratisches Zusammenleben. Heute wird alles immer zerbrechlicher und unsicherer – die Demokratie schwankt. Deswegen ist es wichtig, dass uns bewusst ist, dass nicht immer Demokratie in Deutschland herrschte. Wie würden wir heutzutage auf Entwicklungen wie damals reagieren?

Knobloch ist eine sehr starke Stimme gegen das Vergessen der Ereignisse. Durch ihre bewegende Lebensgeschichte bringt sie uns die Schrecken der damaligen Zeit näher und erinnert uns daran, unsere Demokratie wertzuschätzen und zu schützen. Sie kämpft auch heute gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus und prägte das jüdische Leben in Deutschland sehr.

Bereits als Kind war sie sich der wachsenden Gefahr in den 1930er Jahren bewusst. Ihre Freunde wiesen sie zurück, öffneten ihr nicht die Türe, die Hausmeisterin schickte sie fort. „Unsere Kinder dürfen nicht mit einem Judenkind spielen“, hieß es. Das Wort Jude bekam einen bitteren Beigeschmack und sie hörte nun bei dessen Erwähnung genauer hin. Als Jude musste man sich unauffällig verhalten. Und die Menschen sollten sehen „wie Juden zu behandeln sind“. Knobloch litt unter großer Ausgrenzung: Freundschaften und Hobbies wie Klavierspielen wurden ihr verwehrt. Sie realisierte, dass sie „anders“ sei, auch wenn sie sich nicht erklären konnte, weshalb. Sie konnte die anderen Kinder beobachten, die in Freiheit sorglos weiterlebten, was einen extremen Kontrast zu ihrem eigenen Leben darstellte. „Jude“ wurde als Schimpfwort verwendet.

Jeden Tag kursierten neue Schreckensmeldungen, es herrschte eine bedrückende, angsterfüllte Stimmung unter den Juden. Durch die Nürnberger Gesetze wurden Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden verboten, wodurch die Mutter sich gezwungen sah, sich zu trennen und die Familie zu verlassen. Die Juden wurden zu „Freiwild“. Nachts läutete die Gestapo Sturm, ging durch die Wohnung und erstellte Listen. Knobloch meint, dass sie auch heute noch „die Ledermäntel“ vor sich sehe.

Ihr Vater plante ihre Auswanderung, doch die Großmutter, die sich seit dem Weggang der Mutter um die Kinder gekümmert hat, bekam keine Einreiseerlaubnis in die USA, weil sie zu alt war, weshalb die Familie in Deutschland blieb. 1942, als Knobloch 10 Jahre alt war, wurde ihre Großmutter nach Theresienstadt deportiert, wo sie zwei Jahre später ermordet wurde. Explizit beschreibt die Zeitzeugin den Hungertod ihrer Großmutter mit diesem Wort.

Als die Lage sich verschlimmerte, organisierte ihr Vater eine Rettungsaktion und brachte sie auf dem Bauernhof der Familie Hummel in Arberg unter, wo sie von Zenzi Hummel als eigenes uneheliches Kind, als „Bankert“, aufgenommen wurde. Damit hat Hummel nicht nur die damit verbundene Stigmatisierung in Kauf genommen, sondern sich auch selbst durch die Unterbringung einer Jüdin in Gefahr gebracht.

Die Fahrt dorthin mit dem Zug war bereits ein großes Risiko, da sie Vater und Tochter nicht als Juden erkennbar geben durften. Wenn sie „die Ledermäntel“ entdecke, so schärfte ihr der Vater ein, solle sie sofort aussteigen, da das Entdecken ohne Auszeichnungen als Juden ein Todesurteil bedeuten könnte.

Der Pfarrer der örtlichen Kirche unterstützte Knobloch und gab ihr Anweisungen: Sie solle täglich um 7 Uhr die Kirche besuchen, sich interessieren und das kopieren, was die anderen Menschen taten.

Drei Jahre blieb sie dort auf dem Land, bis der Krieg zu Ende ging. Die Amerikaner kamen in Panzern auf das Dorf zu und verteilten Süßigkeiten an die Kinder. Knobloch konnte zu ihrem wahren Namen zurückkehren. Doch sie wollte nicht wieder nach München aus Angst, all die Menschen wiederzusehen, die so furchtbar zu ihr gewesen waren. Schließlich aber ging sie doch zurück und erlebte dort die Nachkriegszeit, in der Opfer und Täter wieder den Alltag teilten.

Knobloch betont abschließend nochmal, wie wichtig es besonders für junge Menschen ist, sich mit der Demokratie auseinanderzusetzen, ihre Wichtigkeit zu verstehen und sie zu schützen. Sie beendet ihren authentischen und berührenden Bericht mit einer wichtigen Message für uns alle: „Lasst euch nicht in irgendeiner Form sagen, wen ihr zu lieben und wen ihr zu hassen habt.“

Selina, Céline und Patrick, 11a